Friedlich schlängelt sich der Zinnbach durch die Wiesen und Auenwälder. Klares Wasser plätschert vor sich hin. Aber die Idylle trügt. Selbst dieser kleine Bach, der von Tschechien nach Bayern fließt, ist nicht sauber genug, dass junge Flussperlmuscheln überleben können. Probleme bereiten die Sedimente, also feine Bodenteile wie Feinsand, Ton und Schluff, die sich im Kiesbett anreichern. Junge Muscheln, die die ersten Jahre im Kiesbett sauberer Bäche leben, ersticken an diesen Sedimenten. Es fehlt also der komplette Nachwuchs und das seit Jahrzehnten.
Aber es gibt Hoffnung: Anja Bierschenk, promovierte Biologin, arbeitet in einem fünfköpfigen Team aus deutschen und tschechischen Wissenschaftlern in der Flussperlenmuschelzuchtstation in der Huschermühle im Landkreis Hof, direkt an der tschechischen Grenze. Ziel ist es, unter kontrollierten Bedingungen für Jungmuscheln zu sorgen und diese nach fünf Jahren, wenn sie stabil genug sind, wieder in die freie Wildbahn, das heißt, in die Bäche zu setzen. Verantwortlich für das grenzüberschreitende Projekt, das von der EU mit über einer Million gefördert wird, sind die Kreisgruppe Hof des BUND Bayern und eine tschechische Umweltbehörde.
Ulrich Scharfenberg, Vorsitzender der Kreisgruppe Hof, erzählt, dass es diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Bereich Naturschutz und speziell im Bereich Flussperlmuscheln seit den 80er Jahren, also schon vor der politischen Wende gab. „Dass die Flussperlmuscheln überleben konnten, liegt an der Abgeschiedenheit. Das haben die Tschechen schon früh erkannt und entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen.“ Zu dieser Zeit begann man auch, diese Tiere zu erforschen und zu experimentieren, wie die Lebensbedingungen für sie sein müssen. Nur mit diesen über Jahrzehnte gesammelten Erfahrungen kann die Aufzuchtstation heute erfolgreich arbeiten.
Der Fortpflanzungsprozess dieser Tiere ist hochkomplex, der fast übernatürliche Fähigkeiten erfordert. Bierschenk schwärmt und staunt über ihren tschechischen Kollegen, den Muschelspezialist Dr. Ondřej Spisar. „Er hat ein phänomenales Gespür, genau den richtigen Zeitpunkt abzupassen, wann die in den Bächen lebenden Altmuscheln ihre Larven abgeben.“ Erwachsene Muscheln geben nach der Befruchtung Larven ab, die für acht Monate als Parasiten in den Kiemen von Bachforellen leben. Dann fallen sie als winzige Muscheln mit einem Durchmesser von 0,3 Millimeter Größe ab und graben sich in das Kiesbett, in dem sie fünf Jahre bleiben. „Diesen natürlichen Vorgang unterstützen wir in der Aufzuchtstation.“ Dazu werden die Muscheln in spezielle Lochplatten aus Plexiglas gesetzt, die in die Strömung der Bäche gehängt werden. „Diese Lochplatten müssen regelmäßig gereinigt werden, damit sich keine Sedimente darin absetzen“, ergänzt Bierschenk. Nach etwa zwei Jahren ziehen die winzigen Muscheln von den Lochplatten in Siebkörbe mit natürlichem Kies um, der regelmäßig gereinigt wird. Nach fünf Jahren sind die Muscheln wenige Zentimeter groß und können in die Bäche gesetzt werden.
Soweit ist man in der Huschermühle noch nicht, da das Projekt erst 2018 startete. Es ist auf drei Jahre angelegt. Scharfenberg hofft, dass das Projekt verlängert wird, sonst wäre alle Arbeit und alles Geld umsonst. „Wir brauchen eigentlich zehn Jahre. Ziel ist es, die Bedingungen so wiederherzustellen, dass die Muscheln es alleine schaffen. Die Arbeit in der Huschermühle ist nur eine Überbrückung. Wir wollen nicht, dass die Muscheln dauerhaft von uns abhängig sind.“
Anhand von Fotos erläutert Scharfenberg, warum junge Flussperlmuscheln nicht überleben können: Intensive Landwirtschaft, Gülleeintrag und Düngung bis an den Bachrand, Entleerung von Fischteichen in die Bäche, hoher Fichtenbestand sowie Erosion nach Starkregen. “Wir arbeiten sehr gut mit den Fachverbänden zusammen, um die Situation zu verbessern“, so Scharfenberg.
„Die Flussperlmuscheln sind für unsere Gewässer ganz wichtig“, ist die Biologin Bierschenk überzeugt. „Die Muschel ist ein Indikator für sauberes Wasser. Geht es der Muschel gut, geht es auch den Bachforellen und dem ganzen Ökosystem gut.“
Bis in die 60er Jahre lebten in den Bächen in der Grenzregion Millionen von Flussperlmuscheln, so dass sie in mehreren Ebenen übereinander lagen, weiß Scharfenberg aus Erzählungen. Angeblich verfütterte man die Muscheln sogar an Schweine, „Heute leben in der Region noch 30.000 Muscheln in mehreren Bächen“, so Bierschenk. Nachdem vor einigen Jahren etwa 5.000 Muscheln, die streng geschützt sind, aus den Bächen geklaut wurden, werden die Plätze streng geheim gehalten. Der Fall konnte nie aufgeklärt werden. Auch der Grund für diese Tat ist unbekannt. Die Perlen können es nicht sein, denn nur etwa jede 10.000. Muschel enthält eine Perle.