Lehesten ist ein kleines Städtchen im Thüringischen Schiefergebirge. Bergbau und Schiefer haben den schmucken Ort mit knapp 1700 Einwohnern geprägt. Bernd Adolph wohnt zentral mit überdachter Veranda, offen zum Kirchplatz. Er hat 34 Jahre lang etwa 200 Meter unter Tage im Schieferbergwerk Lehesten als Hauer gearbeitet. „Hauer ist ein Ausbildungsberuf im Bergbau“, erklärt der Fachmann. „Schiefer wird sowohl über Tage als auch unter Tage abgebaut. Im Stollen unter Tage zu arbeiten, ist Knochenarbeit, schwerste körperliche Arbeit, denn fast alles ist Handarbeit.“ Der 73-jährige Rentner blickt trotzdem positiv auf sein Arbeitsleben zurück: „Ich habe es gern gemacht. Ich war Hauer mit Leib und Seele.“ An die körperlich schwere Arbeit habe man sich gewöhnt. Er betont die Kameradschaft, die unter Tage herrscht. „Jeder muss sich auf den anderen verlassen können.“ Fasziniert habe ihn, dass er und seine Kollegen nach der Sprengung die ersten waren, die den Schiefer, der als das blaue Gold Thüringens bezeichnet wird, sahen. „Das Material lag über 300 Millionen Jahre im Schoß der Erde“, versucht er das Gefühl zu beschreiben. Nach der Sprengung lag das Gestein in großen Brocken da, die aufgespalten werden mussten. „Das funktioniert nur in eine Richtung. Dabei entstehen die Schieferplatten.“
In Lehesten selbst wurde vom 13. Jahrhundert bis 1999 Schiefer abgebaut. 2008 schloss auch im eingemeindeten Schmiedebach die Schiefergrube. „Der Abbau war zu teuer und zu aufwändig“, begründet der ehemalige Hauer diesen Schritt. Bis zum Krieg arbeiteten in den Steinbrüchen in Lehesten über 2000 Menschen. Nach dem Krieg waren es noch um die 500, seit den 70er Jahre bis zur Wende etwa 300. Jetzt gehört das Gelände zum Schieferpark Lehesten, der die Geschichte rund um das Schieferhandwerk zeigt. Außerdem ist die Bergbaulandschaft mittlerweile ein Naturschutzgebiet. Mittelpunkt ist der Schiefersee mit seinen senkrecht abfallenden Felswänden und dem türkisblauen Wasser – eine Augenweide und wichtiger Lebensraum für seltene Tiere und Pflanzen.
Der Schiefer aus dem Thüringischen Schiefergebirge ist von guter Qualität und besonders langlebig, erklärt der Bergmann. Der Schiefer wurde in erster Linie zum Dachdecken und für Wandverkleidungen genutzt. „Wenn die Nägel mitmachen, hält der Schiefer 100 Jahre und länger. Ich kenne Beispiele, da konnte man 300 Jahre alten Schiefer von alten Häusern wiederverwenden.“
Bernd Adolph erzählt eine deutsch-deutsch Geschichte am Rande: Vor dem Krieg waren viele Arbeitskräfte aus Bayern im Schieferabbau tätig. Diese fehlten nach der deutschen Teilung 1945. Ab 1950 durften wieder Bergleute aus Bayern in Lehesten in der DDR arbeiten. Bezahlt wurden sie zur Hälfte mit D-Mark und für die andere Hälfte des ihnen zustehenden Lohnes bekamen sie Verrechnungsschecks. Damit konnten sie in Lehesten Konsumgüter von Lebensmittel über Wäsche bis hin zu Fahrrädern kaufen. Mit dem Mauerbau am 13. August 1961 endete diese Ausnahmesituation. Vier Wochen hatten die bayerischen Bergarbeiter Zeit, sich neue Arbeitsplätze in Bayern zu suchen. Dann war das Schlupfloch im Eisernen Vorhang dicht. „Aber der Kontakt zwischen den Kameraden aus Thüringen und Bayern blieb bestehen“, erzählt Adolph. Später kamen die bayerischen Bergleute über den „Kleinen Grenzverkehr“ gelegentlich zu Besuch. Und nach der Wende intensivierte sich der Kontakt noch einmal. „Mittlerweile sind die meisten altersbedingt gestorben, aber zwei kommen immer noch zu unseren Festen“, weiß Adolph.
Der ehemalige Bergmann war Gründungsmitglied des SPD-Ortsvereins Lehesten und engagierte sich 20 Jahre im Stadtrat und eine Wahlperiode im Kreistag. „Aus dieser Zeit kenne ich die exakten Arbeitslosenzahlen der letzten Jahrzehnte. Wir hatten trotz Schließung der Bergwerke ganz niedrige Arbeitslosenzahlen, da die meisten im benachbarten Oberfranken Arbeit gefunden haben.“ Weiter im Landesinneren von Thüringen sähe es dagegen schlechter aus. Trotzdem sieht er keinen Grund, sich über die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu beklagen. „Wir sind doch alle Gewinner der Grenzöffnung, schon allein aus politischer Sicht. Man darf nicht vergessen, dass wir in einer Diktatur lebten.“