Das Mühlrad produziert wieder Strom

Es ist ein idyllischer Ort im Tal unterhalb von Lehesten. Gleichzeitig ist es ein Erinnerungsort an die Grenzanlagen und an den brutalen Umgang mit den Menschen und ihrer Heimat im „Schutzstreifen“, wie man den 500 Meter breiten Streifen direkt an der innerdeutschen Grenze nannte. Hier stand die Alte Mühle erklären die Viertklässler der Grundschule „Karl Oertel“ in Lehesten. Warum wurde sie abgerissen? „Weil hier die Grenze war“, kommt aus Kindermund.

 

Mit dem Besuch eines Zeitzeugen, der 2010 in der Schule über seine Kindheit in der Schiefermühle in Lehestens berichtete, fing alles an. „Wir hörten von verschwundenen Mühlen am Aubach und am Grenzfluss Loquitz“, erzählt Cornelia Seifert, Schulleiterin der Grundschule. „Wir wussten nichts und begaben uns mit den Kindern auf Spurensuche.“ Es entstand das Mühlenprojekt der Schule, dass seit 2011 jährlich die Kinder der vierten Klasse bearbeiten. „Die Kinder beschäftigen sich auf diese Weise mit ihrer Heimat, mit der ehemaligen Grenze und dem Leben im Sperrgebiet.“

 

Es gab hier sechs Mühlen, die alle verschwunden sind, da sie in unmittelbarer Nähe zur  Grenze lagen. Die Menschen, die die Mühlen bewohnten, wurden 1952 zwangsausgesiedelt. Ende der 50er Jahre wurden die meisten Gebäude abgerissen. Die Schiefermühle stand noch bis 1983. „Die Mühlen waren ein Tabuthema in Lehesten, denn es waren ja teilweise Bewohner des Ortes, die beim Abriss dabei waren“, erklärt die 61-Jährige, die in Lehesten aufgewachsen ist und seit 1985 hier als Lehrerin arbeitet. Die Kinder der vierten Klasse kennen die Namen der Mühlen: Teichmühle, Krummholzhammer, Klimpermühle, Papiermühle, Schiefermühle und Alte Mühle.

 

Jedes Jahr nehmen sich die Viertklässler ein Thema im Rahmen des Mühlenprojektes vor. So ist im Laufe der Jahre der Mühlenweg entstanden. „Wir haben Zeitzeugen eingeladen und recherchiert, um die Geschichte der Mühlen und ihrer Bewohner zu erfahren“, berichtet Seifert. Schilder und von den Kindern beschriftete Schiefertafeln erinnern an die Gebäude, die für die Menschen nicht nur Heimat, sondern auch Existenz waren.

 

Auch daran wird am Mühlenweg erinnert. Die Kinder zeigen das kleine Mühlrad im Aubach und erklären: „Es dreht sich und erzeugt mit Wasserkraft Strom, wie schon 1936.“  Mit einer kurzen überirdischen Leitung wird der Strom  in einen kleinen Bauwagen transportiert. „Hier gibt es Licht und wir können auch mal unsere Handys laden“, sagt ein Junge. Der Bauwagen steht genau an der Stelle, wo das Wohnhaus stand. Davor steht eine Sitzgruppe und lädt zum Verweilen ein. „Das ist gewollt“, sagt die Schulleiterin. Es habe Jahre gedauert, aber jetzt hätten Menschen diesen Platz angenommen. Lehestener würden sich öfters mal zu einem Spaziergang aufmachen und den Ort genießen. Im Bauwagen stehen auch immer ein paar Getränke bereit.

 

Drei Grundschulen, die unmittelbar am Grünen Band liegen, treffen sich regelmäßig: Lehesten, Probstzella und Ludwigsstadt (diese Schule nennt sich sogar „Grundschule am Grünen Band“). Bei der letzten Sternwanderung im Frühjahr dieses Jahres trafen sich alle Schüler der drei Grundschulen auf dem Gelände der Alten Mühle, erzählt Seifert. Sie freut sich, dass dieser Ort mittlerweile auch zu einem Treffpunkt für Menschen aus Ost und West angenommen wird.

 

Durch den Aubach, der wenige Meter weiter in die Loquitz fließt, geht ein Barfußpfad. An diesem heißen Sommervormittag ziehen die Kinder ihre Schuhe aus und genießen unbeschwert diesen Ort. „In der Grundschule wird der Bezug zur Heimat gelegt“, so die Auffassung der Lehrerin Brigitte Mohr. Für sie gehört das Mühlengelände zum Schulgelände, so oft seien sie da. „Wir machen hier Heimatkunde, Sachkunde, Geschichte und Biologie.“ Wenn die Kinder dann nach der vierten Klasse in den umliegenden Städten die weiterführenden Schulen besuchen, geraten diese Themen etwas in den Hintergrund. Aber Brigitte Mohr weiß von ehemaligen Schülern, die Fach- und Seminararbeiten für die Oberstufe schreiben mussten und an ihr Wissen aus dem Mühlenprojekt anknüpften.

 

Was die kleine Schule mit etwa 50 Schülern hier leistet, geht nur mit außergewöhnlichem Engagement der drei Lehrkräfte, die dieser Schule zustehen. „Und mit ganz viel Unterstützung von außen“, ergänzt Seifert. Eltern, Förderverein und viele, viele Menschen aus Vereinen unterstützen das Projekt und machen es auch zu ihrem Projekt. Sogar bei der Stromgewinnung durch das kleine Mühlrad hat ein Mitarbeiter eines ortsansässigen Elektrobetriebes geholfen. Einer dieser tatkräftigen Unterstützer ist der 78-jährige Peter Emmert. „Wir unterstützen die Schule, wo wir können, denn es ist wichtig, sich für Kinder einzusetzen“, erklärt er wie selbstverständlich.

 

Die Schule hat mit ihrer Art der Erinnerungskultur an die deutsch-deutsche Geschichte bereits zwei Preise gewonnen: 2011 den zweiten Preis des History Award und nächste Woche erhalten die Viertklässler in Erfurt den Preis als Landessieger beim „Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2019“. Eingereicht haben sie eine Recherchearbeit zu den ehemaligen Bewohnern der Alten Mühle. Sie führten Gespräche mit Zeitzeugen und verarbeiteten diese unter dem vorgegebenen Titel: “So geht’s weiter. Krise – Umbruch – Aufbruch“.