Dietrich Schütze begleitet Wanderer, die bei ihm übernachten, meist ein Stück des Weges. Zu erzählen hat er viel. Hier zeigt er sein Lieblingskraut "Meisterwurz". "Hilft gegen alles, wie der Name schon sagt."
Der Wildberghof oberhalb von Tettau ist ein ehemaliger Logierhof an einer alten Handels- und Heerstraße“, erzählt Dietrich Schütze. Er lebt mit seiner Frau Angelika seit 1976 in diesem einsamen Gehöft im Landkreis Kronach. Die Grenze verlief etwa 100 Meter hinter dem Haus.
„Wir waren damals sechs Erwachsene und drei Kinder, die sich hier niederließen.“ Er erzählt von der Sponti- und Kinderladenszene in Frankfurt, in der sie aktiv gewesen seien. Schütze ist Diplom Sozialpädagoge, hat aber nie in diesem Beruf gearbeitet. „Ich wollte mit meinen Händen und körperlich arbeiten.“ So machten sie sich mit Gleichgesinnten Mitte der siebziger Jahre auf die Suche nach einem geeigneten Ort: Es wurde der Wildberghof auf 700 Meter in Oberfranken. „Die Gemeinde wollte den Hof eigentlich abreißen, um dort eine Skiabfahrt zu bauen. Aber der Besitzer verkaufte an uns, damit der Hof erhalten bleibt.“ Die Ziele waren klar: „Wir wollten etwas Neues ausprobieren und in Autonomie leben. Wir wollten uns selbst versorgen und mit wenig Geld auskommen.“ Neu war die Situation für Schütze auf jeden Fall, denn „ich war vorher Hausbesetzer in Frankfurt, jetzt war ich Hausbesitzer in Tettau“, blickt er schmunzelnd zurück. Als die Frankfurter im Sommer ankamen, mussten sie sich erst einmal um Holz für den Winter kümmern. „Wir hatten immer Unterstützer. Mitarbeiter des Zolls haben uns zum Beispiel im ersten Winter mit Öfen versorgt.“
Nach und nach wurde das Haus repariert und parallel eine Landwirtschaft mit Ziegen und Kühen aufgebaut. Zwischendurch wurde selbst Käse gemacht, gewebt und getöpfert. „Wir haben viel ausprobiert und viel Lehrgeld bezahlt.“ Schütze erzählt, dass er sich das meiste autodidaktisch beigebracht hat. „Weil wir Öfen im Haus brauchten, begann ich Kachelöfen zu bauen. Den ersten mit einem Fachmann und dann allein.“ Heute gibt es neun Kachelöfen im Haus. Jeder ist ein Unikat und ein Kunstwerk für sich. „Danach konnte ich es und habe für andere gegen Bezahlung Kachelöfen gebaut.“ Denn dass es ohne Geld nicht geht, war schnell klar. Schütze erinnert sich an die erste Einnahmequelle: Wir boten für Berliner Kinderläden Ferienaufenthalte in der Natur an, das heißt, es kamen Kindergruppen aus Berlin mit ihren Betreuern und verbrachten eine Woche freies Leben in der Natur.
Es hat sich viel verändert auf dem Wildberghof. Der Stall ist leer und das Land abgegeben. Die ehemaligen Mitbewohner sind alle weg. Geblieben sind nur Angelika und Dietrich Schütze, die gerade ihren 75. Geburtstag gefeiert haben. Geblieben ist auch die Offenheit für Neues. So gibt es jetzt neben Gästezimmern, Ferienwohnungen und Heuhotel einen Dauermieter mit Pferden. Eine Frau aus Tettau betreibt sonntags ein Café. Gäste sind nach wie vor willkommen. Wanderer des Grünen Bandes und des Lutherweges kommen direkt durch den Hof. Für sie mäht Schütze extra einen Streifen durch die Wiesen und pflegt die Wege. Übernachtungsgäste begleitet er in der Regel die ersten paar Kilometer ihres Weges auf der alten Heer- und Handelsstraße, die bis 1989 die unmittelbare Grenze war. Es ist für ihn eine der schönsten Abschnitte des Wanderweges. Dabei erklärt er die Besonderheiten der Grenze, zeigt den Brunnen von Christiansgrün, den er regelmäßig von Unkraut befreit. Er ist das einzige Überbleibsel des noch größeren Logierhofes in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wildberghof. Aber nach dem zweiten Weltkrieg lag er in der sowjetischer Zone bzw.in der DDR und wurde abgerissen. Schütze erzählt, dass seine Kühe manchmal auf DDR-Gebiet gelaufen seien. Er ging hinter her, um sie wieder zu holen. Dann sei er aufgefordert worden, das Gebiet der DDR sofort zu verlassen. Er zeigt eine große Stelle mit Arnika, die er extra eingezäunt hat, damit Wanderer sie wahrnehmen, Grenzsteine und sein Lieblingskraut „Meisterwurz“ – ein Heilkraut, das gegen alles hilft. Er deutet auf Hecken und Bäume rund um den Hof, die er gepflanzt hat. „Wir haben die Landschaft mitgestaltet“, blickt er zufrieden über den alten Logierhof.