Auf dem jüdischen Friedhof außerhalb von Berkach sind 145 Grabsteine, die sich dicht auf der einen Hälfte drängen. Auf einer Informationstafel heißt es: “Seltsam leer die Wiese, für mehr Gräber geplant.“ Mit der Deportation der letzten jüdischen Bürger 1942 und anschließenden Ermordung in Theresienstadt war das jüdische Leben in dem kleinen Dorf im heutigen Landkreis Schmalkalden-Meiningen direkt an der ehemaligen innerdeutschen Grenze beendet. Den Friedhof brauchte man nicht mehr, aber er blieb erhalten.
„Das Zusammenleben zwischen Christen und Juden hat in Berkach über Jahrhunderte gut funktioniert“, erklärt Ortsbürgermeister Uwe Thomas. „Christen und Juden haben in direkter Nachbarschaft gelebt, gemeinsam gearbeitet und auch gemeinsam in einem Chor gesungen“, weiß er aus Erzählungen. „Es ist ein Kleinod, was wir hier haben“, sagt er während eines Rundgangs durch das Dorf. Berkach verfügt über ein in Thüringen einmaliges jüdisches Ensemble aus Synagoge, Schule, Mikwe (rituelles Tauchbad) und Friedhof. Und alles ist erhalten bzw. wieder hergerichtet.
Die Synagoge in Berkach wurde während der Reichspogromnacht 1938 nicht zerstört. Auch als sie in Gemeindebesitz überging, wurde sie nicht abgerissen. Die LPG nutzte die Synagoge bis zur Wende als Schmiede. Was brutal klingt, war aber ein Glück für dieses jüdische Versammlungshaus. „Aufgrund der Höhe der Synagoge wurde eine Zwischendecke eingezogen, so dass die Originaldecke und ein Teil der Säulen der oberen Empore erhalten blieb“, erklärt Thomas. Den Einheimischen sei sehr wohl bewusst gewesen, dass es sich um eine alte Synagoge handelte. „Wir lebten aber im Sperrgebiet mit ganz anderen Sorgen und Nöten, so dass das Thema „Juden in Berkach“ in Vergessenheit geriet.“ Der jüdische Friedhof lag bis 1989 direkt am Sperrzaun. Für Besucher war er also unerreichbar. „Er wurde immer gepflegt“, so Thomas. „Aber es durfte kaum einer hin.“ Die Mikwe wurde als Gartenhaus genutzt.
Nach der Wende ging alles sehr schnell. Auf Initiative der Denkmalbehörde und in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen wurde die Synagoge und die Mikwe komplett restauriert. Ende 1991 konnte die Synagoge in einem großen Festakt wieder geweiht werden. Somit hat Berkach eine der wenigen geweihten Landsynagogen in Deutschland.
Es gibt Pläne, diese Synagoge noch mehr zu nutzen. Dafür hat sich bereits 2006 der Verein Grabfelder Bildungs- und Begegnungsstätte Berkach e.V. gegründet. Dieser Verein hat laut Thomas die ehemalige jüdische Schule und zwei typisch fränkische Bauernhöfe in unmittelbarer Nachbarschaft gekauft, die er dafür nutzen möchte.
Gemeinsam mit der Gemeinde Grabfeld, der Jüdischen Landesgemeinde Thüringens und interessierten Menschen arbeitet der Verein daran, den Ort mit Leben zu erfüllen und das Zeugnis der guten Nachbarschaft und des Miteinanders von jüdischen und nichtjüdischen Deutschen zu erhalten und zu entwickeln. Das Projekt nennt sich „Franco-Judaicum im grünen Band“. Geplant ist eine schrittweise Sanierung und Nutzung der Gebäude. Durch Veranstaltungen wie Konzerte, Vorträge, Ausstellungen und Begegnungstage soll ein attraktiver kultureller Anziehungspunkt in der Region geschaffen werden. „Leider geht es etwas langsam voran“, bedauert der Bürgermeister. Die Synagoge mit etwa 130 Sitzplätzen eigne sich hervorragend für kulturelle Veranstaltungen und Konzerte. „Die Akustik ist hervorragend.“
Auch eine der Thorarollen, die einst zur Berkacher Synagoge gehörten, existiert noch. Lothar Goldschmidt, der 1938 vor den Nazis in die USA floh, hat sie mitgenommen und somit gerettet. Die Thora wurde später von einer jüdischen Gemeinde in Florida genutzt. Zum 160. Jubiläum der Einweihung der Synagoge im Jahr 2014 brachten Nachkommen von Berkacher Juden die historische Thorarolle für den Festakt mit in die Synagoge. „Das war sehr bewegend“, so Thomas.
Mittlerweile gibt es einen ausgeschilderten Rundweg durch Berkach mit Informationstafeln zur jüdischen Geschichte. Schulklassen und viele interessierte Besucher kommen, um sich dieses Kleinod anzusehen und sich mit der jüdischen Geschichte in ihrer Heimat auseinanderzusetzen. Anhand von Erinnerungen und noch vorhandenen Unterlagen hat man die Geschichte der jüdischen Familien, die in Berkach lebten, dokumentiert.
„Die jüdische Geschichte gehört zu unserem Dorf“, so der Bürgermeister. „Es ist für alle eine wichtige Aufgabe, die Erinnerung an diese schreckliche Geschichte aufrechtzuerhalten“, so Thomas, während er durch das Fenster der Synagoge auf den Kirchturm von Berkach zeigt. Auch das ist für ihn ein Symbol, wie Menschen verschiedener Religionen einst friedlich Tür an Tür lebten.