„Über 30 Arbeitsgänge sind notwendig, bis ein Stock fertig ist“, erklärt Michael Geyer, während er einen Stock nach dem anderen von einem großen Stapel nimmt und mithilfe einer Biegemaschine den Griff „anbiegt“. Die Stöcke aus spanischem oder englischem Kastanienholz kommen vorher eine halbe Stunde lang in 100 Grad heißen Wasserdampf. Das Holz wird dadurch elastisch und mit einem Zug erhält der vorher gerade Stock den typischen Stockgriff. Michael Geyer ist der letzte Stockmacher in der fünften Generation in Lindewerra. 60 000 bis 70.000 Stöcke produziert er in seiner Werkstatt pro Jahr mit zwei Angestellten. Einer davon ist der Stockmachermeister Wilfried Brill, der die noch warmen und elastischen Stöcke nach dem Anbiegen des Griffes nimmt und den Rest des Stockes mit Hilfe einer Holzkonstruktion gerade biegt.
Die Stockmanufaktur Michael Geyer ist der letzte Betrieb in Lindewerra, der noch Stöcke produziert. Einst waren es 34 Familien in Lindewerra, die von dem Handwerk lebten. Nicht umsonst wird das Dorf Stockmacherdorf genannt. Im Jahr 1836 kam der Stockmacher Wilhelm Ludwig Wagner aus der Nähe von Göttingen nach Lindewerra, denn hier wuchsen in den Eichenwäldern sogenannte Eichenschösslinge, aus denen man damals Stöcke fertigte. Interessierte aus dem Dorf lernten das Handwerk und fingen auch an, Stöcke zu produzieren. Das Dorf wurde bekannt und die Menschen konnten sich ein wenig Wohlstand erarbeiten.
„Ich habe das Handwerk von meinem Vater gelernt“, erzählt Michael Geyer, 49 Jahre. „Seit 1989 ist Stockmacher kein Ausbildungsberuf mehr und das Stockmacherhandwerk wurde aus der Handwerksrolle gestrichen.“ Geyer hat deshalb Tischler gelernt, „aber wie man Stöcke fertigt, bekommt man in die Wiege gelegt.“ Die Stöcke werden europaweit verkauft, zum Teil an Großhändler, zum Teil über Onlineshops, so Geyer. „Vor Ort in Lindewerra verkaufen wir etwa zwei Prozent.“
Die geraden Stöcke mit Griff werden anschließend in einem Ofen getrocknet, danach glatt geschliffen und auf Länge gesägt. Der Stock erhält am unteren Ende einen Zapfen für die Metallspitze . Dann kommen noch die Feinarbeiten wie beizen, farbliche Gestaltung und lackieren. Geyer zeigt im Lager die unterschiedlichen Arten und Typen von Stöcken: Wander-, Spazier- und Krankenstöcke. „Jeder Stock ist ein Unikat“, betont Geyer. Es sei auch möglich, individuelle Stöcke nach eigenen Wünschen herzustellen. Menschen, die das Besondere und Einzigartige schätzen, nutzen dieses Angebot und lassen sich „ihren Stock“ fertigen.
Geyer räumt mit einem Vorurteil auf: „Ein Stock hat nichts mit Alter zu tun.“ Viele würden das allerdings anders sehen, deshalb sei der Stock in Deutschland etwas aus der Mode gekommen. Der Stockmacher hält ihn allerdings für ein modisches Accessoire. „Früher ging man nicht ohne Stock und Hut aus dem Haus.“ Das habe sich in Deutschland geändert. Selbst beim Wandern greifen immer mehr Menschen zu Trekkingstöcken aus Metall , statt zu den rustikalen Wanderstöcken aus Holz. „Aber diese Metallstöcke haben doch keine Seele“, wirbt er für sein Produkt. Er zeigt, wie wunderbar diese handwerklich hergestellten Holzstöcke in der Hand liegen. Ein wichtiger Markt für die Stöcke aus Lindewerra sei England, denn dort seien Stöcke ein Ausdruck von Stil, nicht von alt und gebrechlich.
Ob es eine sechste Generation an Stockmachern in der Manufaktur in Lindewerra geben wird, ist noch nicht klar. „Ich würde mich freuen“, so Michael Geyer. Sein Sohn ist jetzt 17 Jahre alt und hilft öfters in der Werkstatt. „Aber man muss sehen, was wird“, sieht er gelassen in die Zukunft.