Prof. Dr. Hansjörg Küster
Das Eichsfeld ist eine Kulturlandschaft zwischen Harz und Werra in Niedersachsen, Thüringen und zu einem kleinen Teil in Hessen. Bis auf ein kurzes protestantisches Zwischenspiel im 16. Jahrhundert war das Eichsfeld immer katholisch. Auch während der DDR-Zeit blieben die Menschen ihrem Glauben treu. Hansjörg Küster, Professor für Pflanzenökologie am Institut für Geobotanik der Leibniz Universität Hannover, hat sich wissenschaftlich mit dieser Region beschäftigt. Er ist einer der Autoren des Buches „Das Eichsfeld: Eine landeskundliche Bestandsaufnahme“, das im letzten Jahr erschien. In einem Telefoninterview versucht er die Besonderheiten des Eichsfeldes zu erklären. Zu Beginn stellt er klar, wie die Aussprache richtig ist: „Eiksfeld“.
Woher kommt die Identität des Eichsfeldes?
Das ist eine lang zurückreichende Geschichte. Es ist eine katholische Enklave innerhalb eines protestantischen Gebietes. Direkt an das Eichsfeld schließt sich das protestantische Gebiet an, in dem Martin Luther lebte und wirkte. Man wollte hier ein Gegengewicht zur Reformation setzen. Deshalb leben die Menschen ihren katholischen Glauben sehr bewusst.
Wie kann man es erklären, dass die Identität der Region so stark erhalten blieb, obwohl die Region politisch schon seit 1815 getrennt ist, als ein Teil des Eichsfeldes zu Preußen und ein Teil zu Thüringen zugeordnet wurde.
Die Menschen haben ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt, das sich bis ins tägliche Leben auswirkt. Ein Beispiel ist die ausgeprägte Gastfreundschaft. Man bewirtet seine Gäste mit opulenten Schlachteplatten. Und das ist ein Kennzeichen des ganzen Eichsfeldes. Man lebt dort fröhlich mit seinem Glauben. Katholische Identität prägt sich umso mehr aus, je stärker sie sich von der Umgebung absetzt.
Wallfahrten und Prozessionen sind im Eichsfeld von je her große gesellschaftliche Ereignisse. Und dabei denkt man nicht nur an Glaubensfragen. Sondern die Wallfahrten bringen Menschen zusammen und das ist identitätsstiftend.
Wichtig für das Eichsfeld in der neueren Geschichte war auch, dass der Papst nach seinem Besuch in Erfurt 2011 das Eichsfeld besuchte. Das wirkt lange nach.
Empfindet die jüngere Generation das heute noch?
Es gibt gewisse Brüche in der jüngeren Generation. So gehen die Kirchbesuche auch im katholischen Eichsfeld zurück, aber es gibt auch noch junge Menschen, die diese Tradition fortsetzen. Zur Tradition in katholischen Regionen und so auch im Eichsfeld gehört auch der Karneval. Das wird dort kräftig gefeiert.
Gibt es Unterschiede zwischen dem Eichsfeld in Thüringen und in Niedersachsen bzw. in dem kleinen hessischen Teil?
Man ist sehr bemüht, die Gegensätze zu überspielen, aber es prägt, ob man in einem Plattenbau aufgewachsen ist oder in einem Einfamilienhaus der 60er oder 70er Jahre westlich des Eisernen Vorhanges. Ein Beispiel, wie man versucht hat, die Wohnsituation im Osten zu ändern, ist Leinefelde. Dort hat man eine ehemalige Plattenbausiedlung grundsätzlich umgestaltet, so dass farbige Wohnblöcke entstanden sind.
Bezeichnend für die Bemühungen, das historische Eichsfeld als einheitlichen Kulturraum zu erhalten, sind die Überlegungen, das niedersächsische Eichsfeld an das thüringische Eichsfeld anzugliedern. Ob das jemals etwas wird, ist fraglich, aber immerhin denkt man darüber nach. Der östliche Teil des Eichsfeldes ist ebenso wie der westliche wirtschaftlich sehr erfolgreich, so dass die Unterschiede in dieser Hinsicht nicht so groß sind.
Das Eichsfeld ist bekannt als katholische Enklave und für seine Wurst und Schmandkuchen. Reicht das dauerhaft für eine Identitätsstiftung?
Es ist auch die geologische Formung dieser Landschaft mit Steilhängen und Hochplateaus. Es gibt bewaldete Bergkuppen und Senken mit fruchtbaren Böden, die sich hervorragend für Landwirtschaft eignen. Früher gab es in erster Linie Eichenwälder – daher hat das Eichsfeld auch seinen Namen. Heute sind es in erster Linie Buchen und Eichen, aber auch Eiben, die auf dem Kalkgestein vorkommen. Auch während der DDR-Zeit blieben die landwirtschaftlichen Flächen aufgrund der Landschaftsstruktur eher kleinteilig. Von daher sind die Unterschiede zwischen Ost und West auch im Landschaftsbild nicht sehr groß.
Wie war es möglich, dass die Religion in diesem Gebiet auch während der DDR-Zeit so lebendig bleiben konnte?
Das ist die Energie des Widerstandes. Der Widerstand drückte sich nicht durch die Menschen aus, die auf die Straße gingen, sondern auch durch die bewusste katholische Identität.
Gibt es länderübergreifende Initiativen und Vereine?
Der touristische Dachverband der Region Eichsfeld ist zum Beispiel nicht nur für den thüringischen Landkreis Eichsfeld zuständig, sondern für das ganze Eichsfeld in allen drei Bundesländern. Wie interessiert die Menschen in Ost und West am Eichsfeld sind, habe ich bei der Vorstellung unseres Buches gemerkt. Die Resonanz war groß. Es ist sensationell, dass so ein Buch so reißenden Absatz findet. Aber darin ist eben alles über das Eichsfeld dokumentiert.
Hat so eine Region wie das Eichsfeld, in der Ost und West ganz gut zusammengewachsen sind, auch Strahlkraft auf die ganze Bundesrepublik?
Das wäre sehr zu wünschen, aber ich denke, dass die Menschen im Eichsfeld eher die Sonderstellung des katholischen Gebietes sehen. Man sieht es ja überall in den grenznahen Gebieten, dass die Menschen ganz gut in Kontakt gekommen sind. Aber in diesen Regionen gab es ja schon vor Grenzöffnung durch verwandtschaftliche Beziehungen und durch die Möglichkeit des kleinen Grenzverkehrs mehr Austausch und Kontakte als in den grenzferneren Regionen.