Vom Dreiländereck bei Hof bis nach Walkenried hat sie mich treu auf 37 Tagesetappen auf dem Grünen Band begleitet. Jetzt in Walkenried musste ich mich von ihr verabschieden. Es machte mich direkt ein wenig wehmütig. Auf manchen halb zugewachsenen Wegen in einsamen Wäldern hat sie mir Mut gemacht, einfach weiterzugehen, auch wenn es so aussieht, als ob der Weg gleich im Nichts enden könnte. Wenn sie Wege „im fröhlichen Auf und Ab“ beschrieb, überkam mich beim Laufen eine heitere Leichtigkeit. Wenn an mancher Wegkreuzung trotz Karten auf dem Handy Zweifel aufkamen, half sie mir weiter. Anne Haertel und ich waren uns in diesen 37 Tagen ganz nah, da mir ihr Wanderführer „Grünes Band – Auf dem Fernwanderweg entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze“ ein treuer Begleiter war.
In Walkenried angekommen telefonierten wir zum Abschied oder auch um das Etappenziel zu feiern miteinander. „Ich mag Karten sehr gern“, erklärt sie mir am Telefon. Deshalb sei sie überwiegend mit topographischen Karten gelaufen. „Die stimmen zwar auch nicht immer, aber sie sind schon sehr genau.“ Beim Wandern hatte sie stets Zettel und Stift griffbereit, um sich bei Wegkreuzungen Notizen zu machen oder auf markante Punkte hinzuweisen. „Ich speichere das so intensiv, dass ich abends die Strecke dann vor meinem inneren Auge noch einmal ablaufe.“ So kann sie dann die exakten Wegbeschreibungen für die jeweilige Tagesetappe ausformulieren. „Manche Strecken musste ich mehrfach gehen, um den besten Weg zu finden, zum Glück nicht zu oft.“ Die Geschichten zu den jeweiligen Orten und die Service-Informationen hat sie teilweise im Nachhinein ergänzt, beschreibt sie ihre Vorgehensweise.
Anne Haertel gibt zu, dass sie eigentlich gern in Gesellschaft wandert. Aber wenn sie für ein Buch unterwegs ist, läuft es sich ihrer Erfahrung nach besser allein. „Sonst quatsche ich zu viel und übersehe vielleicht etwas.“
„Das Grüne Band als Fernwanderweg ist aufgrund der Streckenlänge und der geringen Infrastruktur eine Herausforderung“, so Anne Haertel. „Und manchmal auch deshalb, weil der Weg zuwächst.“ Die lokalen Heimat- und Tourismusvereine könnten auf den Weg stärker aufmerksam machen und für Interessierte Tourenvorschläge erarbeiten. Hier und da müsste auch noch mehr Pflege organisiert werden. „Touristen, mit denen ich mich in Cafés und Unterkünften unterhalten habe, war oftmals gar nicht klar, dass sie sich direkt an der Grenze befinden“, beschreibt die Autorin ihre Erfahrungen. Ihr Wunsch als Grüne-Band-Wanderin: Es sollten mehr Bänke, Steine oder Baustämme zum Sitzen aufgestellt werden. „Und es braucht Leute die Lust haben, Gaststätten zu betreiben und Übernachtungsmöglichkeiten anzubieten.“
Anne Haertel räumt ein, dass sie zum Grünen Band eine enge Beziehung aufgebaut hat. „Der Plattenweg ist mein Wegweiser. Die Kombination aus Natur, Kultur und Geschichte fasziniert mich.“ Sie spricht aber auch von einem gespaltenen Verhältnis zum Grünen Band. „Hier starben Menschen, beim Versuch diese Grenze zu überwinden. Die Todesgeschichte und die heutigen Blumenwiesen stehen nebeneinander – ein Miteinander und zugleich ein Gegensatz.“
Und wie geht mein Weg ab Walkenried ohne Anne Haertel weiter? Im Harz laufe ich erst einmal ohne Buch. Das ist kein Problem, denn zum einen kenne ich mich hier ein wenig aus, zum anderen ist das Grüne Band hier als Harzer Grenzweg hervorragend ausgeschildert. Und danach? Mal sehen, ob ich dann nur mit meiner geplanten Route auf meinem Handy laufe oder ob ich mich mit einem anderen Buch als Wegbegleiter anfreunden kann. Anne Haertel arbeitet gerade an ihrem zweiten Teil der Reihe „Grünes Band von Walkenried bis zur Ostsee“. Er soll im Frühsommer 2020 erscheinen. So lange kann ich nicht warten. Also gehe ich allein weiter – in fröhlichen Auf und Abs. Aber davon gibt es ja nach dem Harz nicht mehr so viel. Welchen aufmunternden Spruch sie wohl für das flache Land hat, wenn man bis zum Horizont sehen kann und die Landschaft sich nicht groß verändert?
Anne Haertel verrät schon, dass es auch im Norden wunderschöne Abschnitte gibt, die sie in ihrem Buch näher beschreibt. Besonders fasziniert hat sie das Leben direkt am Elbdeich: Störche, Kraniche, Biber. „Auf dem Deich standen zwei Meter vor dem Gartenzaun die Grenzanlagen. Die Bewohner sahen die Elbe konnten das Ufer aber nicht betreten.“ Haertel erzählt zum Beispiel vom Ort Rüterberg, Ortsteil der Stadt Dömitz, der zur Elbe und zum Inland komplett eingezäunt war. „Hier versammelten sich die Bewohner am 8. November 1989 und riefen für ihren Ort eine Räterepublik aus, ohne dass sie wissen konnten, dass am nächsten Tag die Mauer fallen und die Zeit der Grenzen enden würde.