Grenze in Sorge entdecken

Der „Ring der Erinnerung“ fügt sich harmonisch in das Grüne Band ein. Es ist ein Kunstwerk in der Landschaft direkt an der ehemaligen Grenze oberhalb von Sorge im Harz. Der Künstler Hermann Prigann schuf 1993 einen kreisförmigen Wall aus aufgeschichteten Totholzstämmen. Der ehemalige Todesstreifen führt mitten durch den Ring mit einem Durchmesser von 70 Metern. Im Inneren des Kreises ragen fünf Säulen des alten Grenzzaunes mahnend aus dem Boden. Man könnte meinen, es sind Stacheln in der Landschaft. Von dem Ring aus Totholz ist nicht mehr viel zu sehen. Es ist mittlerweile zusammengefallen, teilweise verrottet und von neuem Grün überwuchert. „Dieser Ring steht für Vergangenheit und Zukunft, Werden und Vergehen“, erklärt Inge Winkel, Vorsitzende des Vereins „Grenzmuseum Sorge“. Der Künstler schuf dieses Landschaftskunstwerk nicht nur als Mahnmal gegen das Vergessen, sondern auch gegen Umweltzerstörung.

Der „Ring der Erinnerung“ ist Teil des Geschichtspfades und des Freiland-Grenzmuseums Sorge. Inge Winkel berichtet, dass es nur dem beherzten Handeln des ersten Bürgermeisters nach der Grenzöffnung zu verdanken sei, dass ein Teil der Grenzanlagen als Erinnerung erhalten blieb. „Das stieß damals auf große Kritik der Bevölkerung, aber er hat sich durchgesetzt.“ Seit 2007 kümmert sich der Verein „Grenzmuseum Sorge“ um die Anlagen. „Wir haben wöchentlich mehrere Führungen hier“, so Inge Winkel. „Es ist ein buntes Publikum aus ehemaligen Grenzern aus Ost und West, Harz-Touristen, Schülern und Studenten aus aller Welt.“ Eine Stempelstelle und Möglichkeiten zum Geocaching locken zusätzliche Besucher auf das Freiland-Grenzmuseum.

Inge Winkel lebt seit ihrer Heirat 1971 in Sorge. Allerdings konnte sie den Ort vorher nicht besuchen, da er im Sperrgebiet lag. „Hier gab es Wohnraum, der in der DDR knapp war. Also zog ich mit meinem Mann hier her.“ Inge Winkel war 17 Jahre Bürgermeisterin in dem Harzdorf mit heute 83 Einwohnern, ein Ortsteil der Stadt Oberharz am Brocken in Sachsen-Anhalt. Von Anfang an, also seit 2007 ist die Winkel Vorsitzende des Vereins Grenzmuseums. Stolz ist sie auf die neue Beschilderung und die Informationstafeln in Deutsch und Englisch entlang des zwei Kilometer langen Weges entlang der Grenzanlagen bis zum Ring der Erinnerung. „Wir können hier alles zeigen: Grenzzaun 1 und 2, Hundelaufanlage, Erdbunker, Gewässersperre aus der Warmen Bode, Beobachtungsturm (B-Turm), Grenzsäule und Kolonnenweg.“

Laut Winkel galt die Grenze in Sorge als Vorzeigegrenze. „Wir hatten 130 Grenzbeamte für 13 Kilometer Grenze. Zwei Fluchtversuche mit tödlichem Ausgang in diesem Grenzabschnitt boten Stoff für einen Dokumentarfilm „Tödliche Grenze – Der Schütze und sein Opfer“ mit nachgespielten Szenen und Zeitzeugen (https://www.youtube.com/watch?v=PkM3zchztr8). Mit den Grenzern habe sie damals wenig Kontakt gehabt, berichtet Winkel. „Aber im Ort hat jeder auf den anderen aufgepasst.“ Sie habe zum Glück keine Probleme gehabt, da sie keine Westverwandtschaft hatte.

2009, zum Jubiläum „20 Jahre Mauerfall“ richtete der Verein ein kleines Grenzmuseum im ehemaligen Bahnhofsgebäude, vor dem die Brockenbahn mehrmals täglich hält, ein. In der Ausstellung wird ein Modell einer Grenzanlage gezeigt. Ausstellungsstücke beschreiben den Alltag der Bewohner an der innerdeutschen Grenze sowie der DDR-Grenztruppen.

Im Moment arbeitet der Verein daran, ein Audio-System zu entwickeln, so dass Besucher noch mehr Informationen bekommen, wenn sie den Geschichtspfad allein erkunden. „Das dauert immer alles etwas, da wir erst das Geld dafür zusammen bekommen“, so die 70-Jährige aus Sorge. Einnahmen hat der Verein über Führungen und Spenden.

Sorge mit seinen derzeit 83 Einwohnern ist ein interessanter Ort abseits des Trubels im Hochharz. Es führen zahlreiche Wanderwege durch das Naturschutzgebiet Harzer Bachtäler. Der Brocken lässt sich von hier zu Fuß oder mit der Harzer Schmalspurbahn, die im Dorf hält, erreichen. Wie an vielen Orten im Harz haben sich auch hier Holländer niedergelassen. Ein holländischer Neubürger, der mit seiner Familie in Sorge lebt und eine Pension betreibt, schwärmt von der Landschaft und der Ruhe im Harz. Junge Gastronomen haben ein Hotel mit Restaurant übernommen und bieten eine moderne Harzer Küche an. Im Winter startet die etwa 20 Kilometer lange Grenzloipe in Sorge.

 

Das Freilandmuseum und der Geschichtspfad sind frei zugänglich. Das Grenzmuseum im Bahnhof hat von Mai bis Oktober von Mittwoch bis Sonntag jeweils von 11 bis 17 Uhr geöffnet.