Die Energie scheint unendlich zu sein. Verena Treichel bezeichnet sich als Botschafterin der Region. Die 33-Jährige lebt in Kunrau am Drömling im Altmarkkreis Salzwedel südlich vom niedersächsischen Brome. „Wir leben ja nicht nur an der ehemaligen Grenze, sondern auch im äußersten Nordwesten von Sachsen-Anhalt“, beschreibt sie die Abgeschiedenheit der Region.
Gemeinsam mit ihrem Mann Christoph und ihren Eltern Renate und Rolf Bartels betreibt sie den Kreativhof in Kunrau. Der Name ist Programm. „Wir haben immer neue Ideen, die wir ausprobieren“, so Verena Treichel. Und es scheint, dass sie alles unter einen Hut bringen: Gäste, Kreativkurse, Adventsscheune, Bierbrauen, Nähwerkstatt, Workshops und Vorträge zu allen möglichen Themen und ein vielseitiges ehrenamtliches Engagement im Bereich Kultur und Natur. „Es hängt aber auch alles zusammen und ergänzt sich“, erklärt Verena Treichel mit Begeisterung.
Angefangen hat alles mit ihrer Mutter Renate, die schon immer Blumendekoration und Kränze für Freunde und Familie herstellte. „Wir ermutigten sie, dieses Talent zu nutzen und die Sachen zum Verkauf anzubieten.“ Und so entstand die Werkstatt und der jährliche Adventsmarkt in der Scheune mit Deko überwiegend aus Naturmaterialien – alles Unikate und alles von Renate in wochenlanger Arbeit kreiert. „In diesem Jahr findet die Adventsscheune zum neunten Mal statt und ist so beliebt, dass die Menschen Schlange stehen, damit sie überhaupt in die Ausstellung kommen“, erzählt die gelernte Veranstaltungskauffrau stolz. „Wir vergeben Nummern, damit die Menschen die Wartezeit entspannt im stimmungsvollen Hof bei Kaffee und Kuchen oder bei Bratwurst und Glühwein genießen.“
Mittlerweile gibt Renate Kreativkurse, in denen Interessierte nach Herzenslust mit Naturmaterialen basteln können. Unter dem Namen „NähCircus“ gibt Verena regelmäßig Nähkurse für Kinder und Erwachsene in einem ausrangierten und liebevoll restauriertem Zirkuswagen. Ihr Mann Christoph hat das Bierbrauen für sich entdeckt. In seiner kleinen Hofbrauerei braut er das Drömlinger Bier mit EU-Biosiegel und bietet Braukuse an. Verena und ihr Vater Rolf zeigen als Natur- und Landschaftsführer die Naturschönheiten des Drömlings, der direkt am Ortsausgang von Kunrau beginnt. Zu Fuß, per Rad und neuerdings auch mit Kanadiern bieten sie Führungen durch das Biosphärenreservat Drömling an.
Die Familie auf dem Kreativhof ist auch Gastgeber für Urlauber mit Wohnmobil und Wohnwagen. „Mit dem Landvergnügen-Stellplatzführer können Gäste für 24 Stunden dieses Angebot kostenlos nutzen“, erklärt Verena das Prinzip. Auch Radfahrer mit oder ohne Zelt sind gern gesehen. „Es ist eine Bereicherung für uns alle. Wenn wir abends gemeinsam auf der überdachten Terrasse sitzen, erzählen nicht nur wir unsere Geschichten, sondern auch die Gäste bringen ihre Geschichten mit“, schwärmt Verena. Renate, die wenige Kilometer entfernt im geteilten Dorf Zicherie-Böckwitz aufgewachsen ist, kann vom Leben direkt an der Grenze berichten. „Es sind nicht die Südfrüchte, die uns gefehlt haben“, bringt sie es auf den Punkt. „Viel schlimmer war für mich, diese bedrohliche Grenze täglich zu erleben und keinen Besuch von Verwandtschaft und Freunden bekommen zu können.“
Verena erzählt, dass es Gäste waren, die sie darauf aufmerksam gemacht hätten, wie dunkel der Nachthimmel im Drömling sei. Da sie sich selbst mit Sternen nicht auskennt, organisierte sie gemeinsam mit dem Planetarium Wolfsburg eine Sternenfahrt nach Kunrau. Etwa 60 Personen kamen mit dem ausgebuchten Bus aus Wolfsburg und genossen den Sternenhimmel unter fachlicher Anleitung. „Wir sorgten für die Atmosphäre.“
Seit zehn Jahren organisiert sie jährlich mit dem Verein „Junge Gemeinschaft Altmark“ das mehrtägige „RoQen-Festival“. Neben Musik gibt es ein großes Familienfest, bei dem sich Vereine aus der Region präsentieren und für sich werben können. Mit dem Festival möchten die Organisatoren ein Zeichen gegen Extremismus und für Vielfalt setzen.
Verena hat ein umfangreiches Netzwerk und so gibt sie auch immer wieder anderen Menschen die Möglichkeit, ihr Know-how in Workshops weiterzugeben – von Wildlifefotografie über Weidenflechten bis hin zu Handlettering. „Wir wollen, dass die Menschen hier eine kreative Auszeit bekommen und sich entspannen können“, erklärt Renate während sie mit ihrer achtjährigen Enkeltochter in der Werkstatt Kränze und Gestecke für den Adventsmarkt kreiert. „Sie liebt das Leben auf dem Kreativhof“, so die Mutter. „Den Übernachtungsgästen bietet sie regelmäßig Dorfführungen an.“ Die Gäste sind begeistert. „Aber ich weiß nicht, was sie erzählt.“
Verena sprudelt vor Energie. Sie gibt zu, dass es manchmal schon anstrengend sei, aber auch viel Spaß mache. Immer wieder würden sich Menschen beschweren, dass in der Region nichts los sei. „Dabei muss man doch nur machen.“ Die junge Frau aus Kunrau denkt nicht in Vereinsstrukturen. „Für mich ist wichtig, dass ich generations- und vereinsunabhängig etwas für die Region machen kann.“ Wichtig sei es, dass junge Menschen erleben können, wieviel Spaß es macht, sich zu engagieren. Die Grundlage seien Ideen. „Aber genauso wichtig sind die Netzwerke und die Gemeinschaft, um es im Team umzusetzen. Und dann braucht es das Publikum, dass das Angebot zu schätzen weiß.“ Verena Treichel sieht noch viel Potenzial für die Region.