Die Schönheit der kleinen Elbdörfer, die sich direkt hinter dem Deich aufreihen ist überwältigend. Mit ihren Krüppelwalmdächern scheinen sie sich hinter dem Deich schützend weg zu ducken, aber zeitgleich neugierig auf die Elbe zu schauen. Es gibt große Anwesen, sogenannte niedersächsische Hallenhäuser, und kleinere Bauernhäuser. Ein reetgedecktes Haus aus dem 18. Jahrhundert versteckt sich hinter dem Deich in Herrenhof rechtselbisch im Amt Neuhaus gegenüber von Hitzacker. Martha-Maria Scheibner lebt hier ihren Traum vom Landleben, vom alternativen Leben mit Selbstbestimmung und wenig Konsum. Die 64-Jährige ist in Hitzacker aufgewachsen. „Meine Eltern kamen wegen der guten Luft in die kleine Stadt an der Elbe und hatten dort ein Milchgeschäft.“ Sie ist mit dem Protest gegen Gorleben groß geworden. „Meine Mutter war die erste Frau im Stadtrat für die Grünen und unser Geschäft hing voll mit Antiatomkraft-Plakaten.“
Scheibner, die Erzieherin und Landwirtin gelernt hat, wollte auf dem Land leben, konnte sich aber im Wendland nichts Entsprechendes leisten. 1990 entdeckte sie das Haus hinter dem Deich auf der anderen Elbseite, damals noch Mecklenburg-Vorpommern. „Die Stille im und um das Haus hat mich fasziniert und gleichzeitig spürte ich die Seele, die das Haus.“ Da störte es nicht, dass das Haus zu diesem Zeitpunkt kein fließendes Wasser und keine Zentralheizung, aber ein Plumpsklo auf dem Hof hatte. Sie kaufte das Haus, das bis kurz vorher bewohnt war. „Das war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Ich habe es keinen Tag bereut.“
Martha-Maria Scheibner betreibt auf zwei Hektar eine Kleinstlandwirtschaft in erster Linie zur Selbstversorgung. Sie hat einen Gemüsegarten, Schafe und Ziegen. „Ich bin hier Landwirtin, Gärtnerin und Hausfrau und muss mich um meine Gebäude kümmern“, entschuldigt sie sich, dass nicht alles so ordentlich ist.
Mittlerweile hat sie fließendes Wasser im Haus, eine Toilette, einen großen Holzofen in der Küche, der über Rohre das Haus teilweise mit Wärme versorgt. „Aber in den Zimmern gibt es jede Menge schöner Öfen, die ich mir nach Bedarf oder Lust und Laune anheizen kann. „Meine Familie hat mich immer unterstützt und mir auch bei Bauprojekten geholfen,“ blickt sie dankbar zurück. Sie hat auch einige Fördermittel bekommen. Wichtig war ihr weniger der Komfort, sondern die Schönheit und den alten Charme des Hauses zu erhalten bzw. zu unterstreichen. Deshalb war für sie auch von Anfang an klar, dass das Haus ein Reetdach erhalten sollte, auch wenn das einiges teurer ist. „Es war ein Segen und Fluch zugleich, dass ich sofort eine Vorstellung hatte, wie das Haus aussehen sollte.“ Von Anfang an hat sie etwas Geld mit Übernachtungsmöglichkeiten für Radfahrer oder Wanderer verdient. „Obwohl es einfach ist, kamen immer Gäste. Es gibt ja auch nicht so viel anderes.“ Im Moment hat sie zwei Wohnungen dauerhaft vermietet.
Einsam fühlt sie sich überhaupt nicht. „Wenn man im Wendland groß geworden ist, dann weiß man, dass man fahren muss. 40 bis 50 Kilometer sind normal, um Freunde zu besuchen, ins Kino zu gehen oder für Kultur“, so Scheibner. „Das mache ich ja nicht jeden Tag.“ Vor einigen Jahren machte sie eine Homöopathie-Ausbildung für den Eigenbedarf und auch zur Behandlung ihrer Tiere. „Auch das wollte ich schon immer. “ Ein Regal in der Küche ist übervoll mit Teemischungen. „Die sammle und mische ich alle selbst.“
Ihre sozialen Kontakte pflegt sie in erster Linie nach wie vor im Wendland. Das hat sich jetzt etwas geändert, da sie sich einen alten Trecker gekauft hat, um sich die Arbeit zu erleichtern. „Und dann bin ich in den örtlichen Oldtimerverein eingetreten. Die Männer helfen mit beim Reparieren des Treckers. Die können das richtig gut und ich lerne dabei jede Menge“, freut sie sich.
Manchmal sei das Geld in den letzten Jahren schon sehr knapp gewesen. Trotzdem schwärmt sie: „Ich bin unendlich reich: Ich habe ein Haus, eigenes Land, genug zum Essen und mache das, was mir Spaß macht. Klar habe ich manchmal viel Arbeit, aber auch genügend Zeit zum Lesen, Träumen, Schlafen, Faulenzen oder um Freunde zu treffen.“ Gut, dass das hier im „Wendland für Arme“ möglich ist.